Viele Reiter haben eine leichte bis starke Aversion gegen das Wort "Training". Ein Pferd "trainiere" man nicht, man bilde es aus. Ich denke, wir tun beides - es wird nur (besonders in klassischen Dressurreiterkreisen) wenig über Training geredet und leider auch wenig gewusst.
Reiten besteht aber nicht ausschließlich aus Kopfarbeit und auch nicht ausschließlich aus korrekter Hilfengebung oder perfekten Lektionen. Natürlich ist es richtig und wichtig, sich mit Lernpsychologie, Pferdeverhalten und auch mit korrektem Sitz und feiner Hilfengebung zu beschäftigen. Aber das ist nicht alles. Reiten ist nämlich durchaus körperliches Training fürs Pferd: Kraft-Ausdauer-Training, denn es trägt unser (meist nicht unerhebliches) Gewicht und das über eine bestimmte Zeit und Strecke und oft in einer anstrengenden (Dressur-)Haltung. Reiten ist auch Koordinationstraining, denn wir wollen Übergänge, Seitengänge, Rückwärtsrichten und Bahnfiguren reiten. All das sind große Aufgaben für den Pferdekörper (und nicht nur für den Pferdekopf), deren Ausführung man nur mit vielfachen Wiederholungen und monate- und jahrelangem Üben verbessern oder gar perfektionieren kann. Da Reiten nunmal Training ist, sollten wir unser Pferd physiologisch trainieren. Auf jeden Trainingsreiz muss eine angemessene Pause folgen, damit das beanspruchte Gewebe (etwa Sehnen, Bänder, Muskeln) regenerieren kann. Wie so eine Pause aussehen sollte und dass es eben nicht sinnvoll ist, das Pferd täglich zu fordern (aber auch nicht, es nie oder nur unregelmäßig zu fordern!), ist vielen Reitern und leider auch Trainern nicht klar - und man liest darüber auch nichts Konkretes in den Richtlinien oder bei den alten Meistern. Oft wird deshalb "nach Gefühl" trainiert, nicht mit Plan und Übersicht. Das Pferd weiß zwar meist, was es tun soll und wir, wie wir es ihm beibringen - ob es das auch körperlich leisten kann oder nur uns zuliebe leistet und dabei kaputt geht, steht auf einem anderen Blatt. Dass viele Reiter sich nicht mit den Grundsätzen gesunden Trainings auseinandersetzen, finanziert vielen Tierärzten und Therapeuten den Lebensunterhalt. Sehnenschäden, "Hufrollenprobleme", Kissing Spines oder Spat sind selten schlimme individuelle Schicksale sondern oft (un-)bewusst in Kauf genommene Folgen verschleißenden Trainings. Das trifft mitnichten nur schlecht gerittene "Lieschen-Müller-Pferde", sondern auch Pferde, die in (scheinbar) perfekter Haltung fast perfekte Lektionen gehen. Der Teufel liegt im Detail: Da wird täglich am Muskelaufbau gearbeitet, weder den Muskeln geschweige denn den Sehnen wird aber die Zeit gelassen, die sie bräuchten um kräftig bzw. stabil zu werden. Oder man reitet nur sporadisch, dann aber gleich zwei Stunden im Trab und Galopp ins Gelände. Viele Reiter und Ausbilder wissen, wie sie das Pferd in eine lehrbuchartige Haltung oder zu einem ansehnlichen Absolvieren von Lektionen bekommen - was das aber im Pferdekörper auslöst (nämlich mitunter je nach Trainingszustand des Pferdes und Intensität des Trainings Überlastungen und Mikrotraumata im Gewebe) und warum dieser Zeit für die Regeneration braucht, ist vielen nicht klar. Es gibt kein Entweder-Oder bei "Ausbildung" und "Training". Beides funktioniert nur zusammen, wenn das Pferd glücklich und gesund bleiben soll. Es reicht nicht, dass moderne Reitlehrer "Trainer" heißen. Sie müssen sich auch als solche verstehen und ihren Schülern vermitteln, wie sie ihr Pferd mit Gefühl, aber auch mit Plan und Wissen um physiologische Vorgänge aufbauen. Darüber hinaus sollte sich jeder Reiter als Ausbilder UND Trainer seines Pferdes verstehen und sich zumindest grundsätzliches Wissen aneignen.
0 Kommentare
|
AutorHier veröffentliche ich bereits publizierte Fachartikel und private Texte zum Thema Pferd. Archiv
April 2019
Kategorien |