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Von Bauchgefühl und Pferdeverstand

2/15/2017

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Erschienen in FEINE HILFEN 21
Ein Shetlandpony beim Hufpflegetermin. Es schnüffelt auf dem Boden herum, steht aber ruhig, die Ohren sind hin und wieder nach hinten in Richtung des aufgehobenen Hufs gerichtet. Das Auge wirkt ruhig, das Maul ist nur bei genauem Hinsehen minimal angespannt. Alles so weit gut, möchte man meinen – Euphorie beim Schmied erwartet ja niemand. Würde das Pony den Huf wegziehen, würde so mancher Pferdebesitzer wahrscheinlich schimpfen – so schlimm ist das Stillstehen offensichtlich nicht und Shettys bekanntermaßen eigensinnig.
Hinter dem dicken Ponyschopf fahren die Emotionen allerdings Achterbahn. Ponywallach Urmel, der seit über zwei Jahren mir gehört, trägt einen Gurt zur Pulsmessung. Ein Blick auf die Pulsuhr zeigt Werte über 100 Herzschläge pro Minute – sein Ruhepuls beträgt ca. 38 bis 40. Da dauerhafte freudige Erregung in dieser Situation ausgeschlossen werden kann, scheint er Stress zu haben. Eine mögliche Erklärung: Er hat eine Hufrehe-Vorgeschichte und erwartet möglicherweise wieder Schmerzen beim Huftermin. Wie unfair wäre es gewesen, das trotz seines Stresses brav stehende Pony für ein eventuelles Zappeln zurechtzuweisen?

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Bild: Urmel, mittlerweile wieder topfit, hat seit seiner Hufrehe Stress beim Schmied. (Foto: Phillip Weingand)

Die Sache mit dem Bauchgefühl

„Wie wichtig ist es euch, was euer Pferd fühlt? Und: Woran erkennt ihr das?“, frage ich wenige Tage später in einem sozialen Netzwerk. „Dass es dem Pferd gut geht, ist das Wichtigste überhaupt“, antworten zahlreiche Reiter. Ob das so ist, „habe man doch im Gefühl“. Von Bauchgefühl und Intuition ist die Rede und von jahrelanger Erfahrung mit Pferden.
Wenn uns allen so wichtig ist, wie es unserem Pferd geht – und ich glaube das jedem, der es behauptet, von Herzen –, warum gibt es dann so viele Pferde mit Magengeschwüren, Kissing Spines oder Verhaltensauffälligkeiten? Warum reiten wir mit unpassenden Sätteln, halten unser Pferd in stressigem Umfeld oder reiten es an seinen Bedürfnissen vorbei? Wahrscheinlich, weil unser Bauchgefühl nicht immer mit der realen Gefühlslage unserer Pferde übereinstimmt. „Ich kenne Reiter, die im Training ein gutes Bauchgefühl haben, wenn sie sich mal so richtig ‚durchgesetzt‘ haben und das Pferd fortan auf ihre Wünsche reagiert“, gibt Sylvia Czarnecki zu bedenken, die Unterricht im positiven Pferdetraining gibt. „Ein gutes Bauchgefühl habe ich ja, wenn sich für mich etwas positiv anfühlt. Ob es dem Pferd auch so gut damit geht, ist eine andere Frage.“ Was wir für gut befinden, hängt Czarnecki zufolge mit unserem Wissensstand zusammen. „Wenn ich mir Videos meines Pferdetrainings von früher anschaue, erschrecke ich teilweise, wie viel Druck ich aufgebaut habe. Heute habe ich andere Kriterien.“ Wenn wir also z. B. glauben, dass ein Pferd sich in einer bestimmten Haltungsform, einem bestimmten Trainingssystem oder in einer bestimmten Körperhaltung unserem derzeitigen Wissensstand entsprechend wohlfühlen muss, kann unser Bauchgefühl uns ganz schön fehlleiten. Steht unser Pferd z.B. im Offenstall, wird nach unserem großen reiterlichen Vorbild gearbeitet, hat einen teuren Maßsattel und geht zuverlässig so „am Zügel“, wie wir es als ideal ansehen, übersehen wir vielleicht, dass es im Stall von den anderen Pferden von A nach B gejagt wird, beim Satteln in die Luft beißt und beim Reiten unzufrieden mit dem Schweif schlägt. Dann „darf nicht sein, was nicht sein kann“. Reiten wir ein Pony, unterstellen wir ihm vielleicht Sturheit, oder halten es für rassetypisch, wenn der Araber im Gelände kaum zu halten ist. Mit dem Bauchgefühl ist es also so eine Sache.
 
Unterschätzter Stressfaktor: Die Haltung
 
Dass Boxenpferde, die nicht täglich rauskommen und ausschließlich in der Box stehen, massiven Stress empfinden und Verhaltensstörungen entwickeln, ist wissenschaftlich erwiesen. Problematisch wird es, wenn wir Gruppenhaltung automatisch als pferdegerecht einstufen. „Wir stellen die Pferde zusammen, aber oftmals keine passenden Gruppen. Allein das ist nicht natürlich und kann zu einem massiven Stressfaktor werden“, sagt Dr. Willa Bohnet vom Institut für Tierschutz und Verhalten der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Unsere moderne Haltung überfordert viele Pferde, besonders wenn zu viele Pferde auf zu wenig Raum zusammenleben. Auch Raufutterautomaten sieht Bohnet kritisch: „Pferde wollen den ganzen Tag fressen. Ist das nicht möglich, weil das Raufutter stark rationiert wird oder es zu wenige Fressplätze gibt, erzeugt das Stress.“ Ständiger Stress im Alltag wiederum kann zu Verhaltensänderungen, Leistungsminderung und nicht zuletzt körperlichen Problemen wie Magengeschwüren führen.


Wie Pferde fühlen

Wahrscheinlich wird jeder Reiter vermuten, dass Pferde ein ähnlich vielschichtiges Gefühlsleben wie der Mensch besitzen. Tatsächlich haben Wissenschaftler bei verschiedenen Säugetierarten nachweisbare Vorgänge im Gehirn gefunden, „wenn sie negative Emotionen wie Angst, Ärger oder Leid, aber auch positive Emotionen wie Freude empfanden. Bei allen Säugetieren laufen diese ‚Basisemotionen‘ in einem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Teil des Gehirns, dem Stammhirn und dem im sogenannten limbischen System liegenden Mandelkern (Amygdala) ab“, schreibt Verhaltensbiologin Marlitt Wendt in ihrem Buch Was Pferde fühlen und denken (Cadmos Verlag). Und weiter: „Da es sich bei all diesen Gefühlsregungen innerhalb der Gruppe der Säugetiere um dieselben chemischen und physikalischen Prozesse handelt, ist davon auszugehen, dass sie von Mensch und Tier auch ähnlich empfunden werden.“
Sind Stammhirn und limbisches System durch starke Emotionen besonders angeregt, können andere Hirnregionen nur eingeschränkt arbeiten. Die Hirnareale blockieren sich gegenseitig. Das ist der Grund dafür, dass es Pferden (und übrigens auch uns) nicht möglich ist, bewusste Entscheidungen zu treffen, wenn uns die Gefühle „überrollen“. Hat ein Pferd also z.B. große Angst, ist es ihm unmöglich, klar zu denken oder gar zu lernen. Unterstellt man einem nervösen Pferd bösen Willen oder „Dominanz“, wenn es in seiner Hektik vielleicht nicht so „funktioniert“ wie sonst, tut man ihm also Unrecht.
Wie aber erkennen wir, wie sich unser Pferd fühlt? Pferde sind als Fluchttiere ziemlich gut darin, ihre Gefühle – besonders Schmerz – zu verstecken. Evolutionsbiologisch sinnvoll: Würden sie z. B. laut jaulen, wäre jedem potenziellen Wolf klar, dass da irgendwo fette Beute wartet, die wahrscheinlich in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt ist…


Pferde lesen kann man üben

Woran können wir also ablesen, was in unseren Pferden vorgeht? „Da gibt es z. B. die Horse grimace scale von Alwin [Anm. d. Red. Animal welfare indicators]. Das ist eine kostenlose App, mit der man sich selbst trainieren kann, Schmerzanzeichen zu erkennen“, sagt Verhaltensexpertin Dr. Willa Bohnet.
Eine gute Sache. Schließlich sollten wir alle ja in der Lage sein, zu sehen, wann unser Pferd sich nicht wohlfühlt. Im Trainingsteil der App kann man Pferdefotos analysieren lernen. Die Schmerzgesichter gehören Hufrehepatienten oder frisch kastrierten Wallachen. Man schätzt die Haltung der Ohren, den Ausdruck der Augen, Tonus der Gesichtsmuskulatur und der Region über den Augen ein und beurteilt auch Nüstern- und Maulpartie. Dabei kann man angeben, ob Schmerzanzeichen gar nicht, moderat oder offensichtlich vorhanden sind. Die Fotos und Analysen sind wissenschaftlich anerkannt und schulen das menschliche Auge.

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Schmerzgesicht erkennen

Um ein Schmerzgesicht zu beurteilen, geht man in der Horse-grimace-scale-App die verschiedenen Gesichtsregionen durch. Z.B. um Beispiel sieht man bei starken Schmerzen:
- Ohren: Wirken weiter voneinander entfernt als sonst. Sie werden die ganze Zeit nach hinten oder zur Seite gehalten. Die Ohrbewegung ist eingeschränkt und die Ohren reagieren nicht oder kaum auf Umweltreize.
- Augen: Die Augen wirken weniger als halb so groß wie normalerweise, die Lider sind etwas geschlossen. Der Blick wirkt introvertiert.
  • Region über den Augen: Die Muskeln über den Augen sind angespannt und der Schläfenknochen klar zu sehen.
  • Gesichtsmuskeln: Kaumuskulatur tritt prominent hervor, klar erkennbar angespanntes Gesicht.
  • Maulregion: Maul ist angespannt, die Oberlippe zurückgezogen. Die Unterlippe ist angespannt und das Kinn tritt hervor. Die Mundwinkel sind heruntergezogen.
  • Nüstern: Gespannt und etwas erweitert, wirken länger als sonst. Das Profil der Nüstern ist verengt.

Nervosität und Freude

Ich lade mir die App herunter, liege fast immer richtig und denke, dass sie eine gute Trainingsmöglichkeit für Reiter und Pferdebesitzer darstellt.
Doch: Was nützt es, wenn ich die Emotionen auf den Fotos treffend errate, aber bei meinem eigenen Pony nicht erkenne, wie hoch der Stresslevel ist?
Zunächst ist Schmerz natürlich nicht gleichzusetzen mit Stress. „Pferde drücken Stress individuell sehr verschieden aus“, sagt Dr. Bohnet. „Ihr Pony scheint bei Stress eher zu erstarren. Andere Pferde würden vielleicht zappeln oder umgeleitetes Aggressionsverhalten zeigen. Die beißen dann in den Anbindebalken oder in die Luft, weil sie gelernt haben, dass es keine Option ist, z.B. den Hufschmied zu beißen.“ Sie vergleicht die individuellen Unterschiede mit uns Menschen. „Vor der Abschlussprüfung sieht man das bei den Studenten. Manche kritzeln auf ihrem Block herum, andere laufen auf und ab, wieder andere sitzen völlig bewegungslos und scheinbar ruhig herum.“
Gerade was die Einschätzung „Der regt sich auf“ angeht, kann man also weit danebenliegen. Ich habe übrigens auch bei Hariel, meiner vierjährigen Lusitanostute, den Puls während des Schmiedtermins gemessen. Im Gegensatz zum ruhig stehenden Urmel war sie an diesem Tag zappelig, eher ungeduldig und hat sich viel umgeschaut – und das mit einem Ruhepuls von 35 Schlägen pro Minute ...
„Dann hat Ihre Stute wahrscheinlich ziemlich selbstsicher gezappelt – oder eventuelle Anspannung einfach durch Bewegung abgebaut“, schätzt Willa Bohnet die Situation ein.
Und nicht nur mit der Einschätzung von Stress können wir uns vertun. Für uns Reiter lässt sich auch nicht zweifelsfrei feststellen, ob ein Pferd sich freut.
„Ich war kürzlich bei einem Turnier. Ein Pferd kam ins Dressurviereck und war sichtlich nervös. Diese Anspannung entlud sich schließlich in Bocken“, sagt Linda Weritz, die das Internationale Institut für Pferdekommunikationswissenschaft in Düsseldorf leitet. „Ich habe dann von mehreren Seiten gehört, dass das Pferd ja richtig Spaß gehabt hätte. Unsere Einschätzungen waren hier sehr verschieden.“
Anders als der Hund können Pferde nicht mit dem Schwanz wedeln (zumindest nicht als Ausdruck von Freude) oder eine für jeden Menschen erkennbare Art von „Lachen“ zeigen. Dennoch sind viele Pferdebesitzer überzeugt davon, dass ihr Pferd sich „auf die Arbeit freue“, schließlich komme es sofort auf sie zu, wenn sie den Stall betreten. Folglich mache man im Training alles richtig.
Linda Weritz ist skeptisch, wenn sie diese Einschätzung hört. „Das ist auch von der Haltung des Pferdes abhängig. Wenn es 23 Stunden in der Box oder einem reizarmen Offenstall steht, kommt es sehr wahrscheinlich zum Besitzer, weil der Abwechslung verspricht. Ob es sich nun auf die Möhre in der Tasche ‚freut‘ oder tatsächlich auf die Arbeit, können wir nicht wissen. Wenn es jemand schafft, dass sein Pferd vom Ende einiger riesigen saftig grünen Koppel auf ihn zugaloppiert kommt – ohne dass er mit der Haferschlüssel rasselt –, dann darf er sich wahrscheinlich wirklich etwas auf seine Arbeit einbilden.“

Emotionen und körperliche Merkmale

Man sollte sein Pferd also sehr genau beobachten, bevor man allein sein Bauchgefühl sprechen lässt. Und um die Sache noch etwas komplizierter zu machen: Pferde können auch schauspielern. „Pferde sind kluge Tiere, die blitzschnell Ursache und Wirkung ihres Verhaltens heraushaben“, weiß Dr. Willa Bohnet. Ein Beispiel: Ein Pferd macht die Erfahrung, dass der Reiter die Arbeit beendet, wenn es lahmt. Man führt das Pferd in den Stall und kümmert sich um das Tier. Nach ein paar Wochen beginnt man wieder mit dem Reiten und das Pferd geht klar. „Wenn Sie dann etwas fordern, was das Pferd vielleicht nicht versteht oder ungern machen möchte, kann es sein, dass es sich daran erinnert, dass Lahmen schon mal die Arbeit beendet hat. Und was tun Sie, wenn ein gerade genesenes Pferd wieder lahmt? Natürlich absteigen.“  Sicher ist das im Umkehrschluss keine Empfehlung, auf einem lahmenden Pferd sitzen zu bleiben, verdeutlicht aber Cleverness und Schauspieltalent unserer Pferde. „Ich kenne sogar Fälle, in denen Pferde Koliksymptome ‚vorgespielt‘ haben – wahrscheinlich, um Aufmerksamkeit zu bekommen“, so Bohnet. Es sei also auch durchaus möglich, dass Pferde gestresst „tun“, es aber nicht sind.  Was natürlich nicht heißt, dass man Anzeichen für Unwohlsein fortan getrost ignorieren darf! Zeigt das Pferd in einer bestimmten Situation aber immer ein bestimmtes Verhalten, könnte z. B. eine Pulsmessung zeigen, ob es wirklich Angst oder Stress empfindet.
Was nicht schauspielern kann, ist das Nervensystem und letztlich die unwillkürlich gesteuerten Strukturen des Pferdekörpers. Ist ein Pferd immer wieder in bestimmten Körperregionen verspannt – und kommt die Verspannung nach der Behandlung durch einen Therapeuten immer wieder –, kann das neben unpassendem Equipment oder unphysiologischem Training eine emotionale Ursache haben. Das kennen wir von uns: Haben wir viel Stress, bekommen wir z. B. Nackenschmerzen, weil die Muskulatur sich verspannt. Auch Pferde können Nackenschmerzen haben – zeigen sie beispielsweise ein stark ausgeprägtes, verspanntes, suboccipitales Nackendreieck (FOTO), deutet das oft auf starken Stress (durchaus auch Stress mit der Reiterhand) hin. „Diese Verspannungen entstehen eigentlich eher in den Faszien, also dem Bindegewebe, das unter anderem die Muskulatur umgibt, als in der Muskulatur selbst“, sagt Barbara Welter-Böller, Gründerin der Fachschule für osteopathische Pferdetherapie. Wie man heute weiß, wird die Faszienspannung vom vegetativen Nervensystem beeinflusst. Ein Pferd, das viel Stress hat, kann sich insgesamt in seiner Muskulatur „fester“ anfühlen – ist es bereits vom Dauerstress erschöpft und innerlich resigniert, kann die Muskulatur auch auffällig weich und schwammig wirken.

"Das Pferd ist dein Spiegel"

„Du darfst nicht zeigen, dass du Angst hast“, wird Reitschülern immer wieder empfohlen. Das Pferd spüre die Angst und würde seinerseits ängstlich. „Es stimmt, dass Pferde unsere Emotionen spüren und sogar übernehmen können“, sagt Dr. Willa Bohnet und erinnert sich an eine Studie. Reiter und Pferd sollten eine kurze Strecke reiten und dabei an einer Person vorbeikommen. Von beiden wurde die Herzfrequenz gemessen. Nachdem sie die Strecke ein paarmal absolviert hatten, sagten die Versuchsleiter dem Reiter, dass die Person nun einen Regenschirm aufspannen würde, wenn er das nächste Mal vorbeireitet. Bei Pferd und Reiter stieg daraufhin an dieser Stelle die Herzfrequenz – obwohl die Person den Schirm nicht aufgespannt hatte. Das ist ziemlich unesoterisch zu erklären: Unsere Muskulatur spannt sich an, wenn wir Angst oder Stress empfinden. So kann es gerade beim Reiten sein, dass das Pferd etwas mehr Zug am Zügel oder Druck am Schenkel spürt und darauf reagiert. Nun ist es uns leider nicht möglich, im Kopf Angst zu haben, aber körperlich keinerlei Reaktion darauf zu zeigen. Hier hilft nur, wenn wir unsere Gedanken im Griff haben. „Ich habe ein Pferd, das ungern über Brücken ging. Führen war noch okay, beim Reiten wurde es nervös“, erzählt Willa Bohnet. „Ich habe dann beim Reiten vermieden, mich auf die Brücke zu fokussieren, und einfach weggeschaut und an etwas anderes gedacht – und das Pferd ging anständig über die Brücke.“

Sehen und gesehen werden

Pferde spüren nicht nur unsere Emotionen, sie sehen auch, wie wir drauf sind. Forscher der University of Sussex fanden erst 2016 heraus, dass Pferde menschliche Gesichter lesen können. Sie präsentierten den 28 Tieren in der Studie Bilder von ihnen unbekannten Männern, die entweder lächelten oder wütend schauten. Sahen die Pferde in wutentbrannte Gesichter, stieg ihre Herzfrequenz und sie schauten die Bilder mit dem linken Auge an. Das gilt als aussagekräftig, da negative Emotionen in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden, die nerval mit dem linken Auge verbunden ist. Auf positiv gestimmte Gesichter reagierten die Pferde kaum. „Pferde wissen auch genau, ob wir sie ansehen“, so Bohnet. In einer Studie beobachtete man, dass Pferde z. B. den Hals hinauf und hinunter bewegen, wenn ein Mensch mit ihnen in der Bahn stand, aber wegschaute. Sie wissen also, ob ihnen unsere Aufmerksamkeit gilt, und versuchen so einiges, um sie zu bekommen. „Als die Person dann die Augen mit den Händen bedecken sollte, berührten die Pferde de Menschen sogar“, so Bohnet. Das sollte so mancher Reiter vielleicht bedenken, der beim „Warmlongieren“ auf dem Handy daddelt.

Spiegelneuronen

Dass Pferde auf unsere Gefühle reagieren, lässt sich auch mit den sogenannten Spiegelneuronen erklären. Diplompsychologin Heidi Zöller beschreibt in ihrer Diplomarbeit von 2006, Das Pferd als Spiegel innerpsychischer Zustände, dass es neurophysiologisch egal ist, „ob ich selbst eine Handlung ausführe oder jemandem bei einer Handlung zusehe“ – die Nervenzellen werden in derselben Weise erregt, als wenn ich die Handlung ausführe. Dasselbe gilt für Emotionen und ist der Grund dafür, dass wir „mitleiden“, wenn unser Lieblingsschauspieler Liebeskummer mimt.
Unter verschiedenen Tierarten wurden innerartliche Spiegelprozesse beobachtet und man geht davon aus, dass sie zwischen Mensch und Haustier ebenfalls vorkommen.
Dass Pferde unsere Emotionen spiegeln, machen sich manche Psychologen und Coaches zunutze. Heidi Zöller schreibt: „Die Chance des Pferdes als Spiegel psychischer Prozesse sehe ich darin, dass es sehr gut und sehr genau emotionale und andere unbewusste Prozesse spiegelt. Es kann als eine Art lebendes Biofeedback helfen, diese Prozesse stärker ins Bewusstsein zu rücken. (…) Das Pferd fordert heraus, sich seinen Gefühlen und seiner Körperpräsenz zu stellen“ (ebd.).

Arbeitsmoral

Was wir auch hinterfragen sollten, ist unsere Einstellung zu den Dingen, die wir mit unserem Pferd tun. Psychologin Heidi Zöllner beschreibt die Arbeit eines Coaches, der für seine Arbeit mit Menschen frei in der Bahn laufende Pferde einsetzt. Ein Psychotherapeut wollte die Methode des Coaches für sich überprüfen. Beschrieben wird folgende Situation: „Der Therapeut kniet vor dem Shetlandpony und ist in engem Kontakt mit dem Pony, während [der Coach] den Parcours aufbaut. Als es darum geht, mit dem Pferd durch den Parcours zu gehen, sagt der Therapeut zu dem Shetlandpony: ‚Schluss mit lustig, jetzt beginnt die Arbeit!‘ Woraufhin das Shetlandpony sich umdreht und Richtung Ausgang der Reithalle läuft. (…) Eine gute Gelegenheit, über das Verhältnis des Psychotherapeuten zu seiner Arbeit und Arbeit im Allgemeinen zu reflektieren“ (ebd.).
Die Erfahrung, dass Pferde stark darauf reagieren, was der Mensch von Bewegung, Arbeit etc. hält, hat auch Dressurausbilderin Katharina Möller aus Dielsdorf bei Erfurt gemacht. „Wenn ein Pferdebesitzer z. B. Bewegung unangenehm findet, wirkt sich das deutlich auf die Motivation des Pferdes aus“, berichtet sie.

Fazit

In einigen Fällen kann unser Bauchgefühl durchaus die Gefühlslage des Pferdes richtig interpretieren – während es in anderen vielleicht versagt, weil unser Kopf dazwischenfunkt oder wir die Zeichen des Pferdes oder die Situation, in der es sich befindet, anders empfinden. Sehen wir z. B. in einer Freiheitsdressur, dass ein Pferd hinter einem Menschen herläuft, kann das verschiedene Gefühle hervorrufen – wer der Ansicht ist, dass das Pferd ohne Zaumzeug nur auf freiwilliger Basis mit dem Menschen kommunizieren kann, wird mögen, was er sieht. Wer die Mimik des Pferdes etwas lesen kann, könnte je nachdem, wie das Ergebnis erarbeitet wurde, anderer Ansicht sein und vermuten, dass das Pferd Stress empfindet und vielleicht nur deshalb hinter dem Menschen herläuft, weil sonst eine Bestrafung droht.
Letztlich werden wir im Alltag nicht jedes Pferdegefühl richtig erraten können – und das ist auch nicht schlimm. „Das geht uns mit anderen Menschen ähnlich. Obwohl wir miteinander sprechen können oder obwohl man vielleicht seit Jahrzehnten zusammenlebt, wird es uns nie möglich sein, immer zu wissen, wie sich der andere gerade wirklich fühlt“, so Dr. Willa Bohnet.
Es schadet aber nichts, wenn wir unsere Intuition ab und zu hinterfragen. „Um sich selbst zu kontrollieren und sein Auge zu schulen, könnte man bestimmte Situationen filmen und dann sehr genau das Mienenspiel und die Körpersprache des Pferdes beachten“, rät Dr. Willa Bohnet. Auch Pulsmessungen können Hinweise auf die wahre Gemütslage unserer Pferde geben.
Urmel habe ich übrigens den Rest des Hufpflegetermins mit Kraulen verwöhnt, was er sehr mag – vielleicht wird er in Zukunft innerlich genauso ruhig sein wie äußerlich.
 

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