Natur ist in. Ich finde das prima und mache den Trend mit. "Der Natur bis ans Ende vertrauen" war ein Leitsatz von Andrew Tailor Still, dem Vater der Osteopathie und ich unterschreibe das Zitat aus voller Überzeugung. Ich bestelle die Biokiste, kaufe Bio-Weidemilch und halte meine Pferde in Gruppenhaltung mit sehr viel Frischluft und Bewegungsmöglichkeiten. Ich bin sozusagen ein Pferde-Hippie.
Als solcher müsste ich jetzt laut über Decken schimpfen. Über die kluge Thermoregulation des Pferdekörpers, über sinnvolle Fütterung (Heu, Heu, Heu) bei Kälte und Deckennutzer als verweichlichte naturfremde Vollpfosten bezeichnen. Genau das tue ich nicht. Ich habe sogar ein Drittel meiner Pferde (Hariel) eingedeckt. Ein anderes Drittel ist ein gut isoliertes Shetlandpony, das dritte Drittel (mein junger Lusitanowallach) bekommt möglicherweise auch eine Decke, da warte ich erstmal ab. Wie kann das sein? Was stimmt nicht mit mir? Klemmig oder einfach kalt? Als Pferdetherapeutin sehe ich jetzt, wo die Temperaturen gewaltig sinken, Pferde vom Winde verweht werden und es von oben und unten nass ist, sehr viele sehr schlechte Rückenlinien. Reiter klagen über Klemmigkeit oder über "Knackigkeit" (erst klamm, dann explosiv) und wundern sich, warum das Pferd erst nach 45 Minuten Arbeit "schön läuft". Bevor jemand schreit: Die Rücken derselben Pferde waren vor wenigen Wochen besser, obwohl die Besitzer nichts geändert haben, den Sattler holen, gut trainieren,.... Der Grund: Wer friert, erhöht seinen Muskeltonus. Denn Muskelarbeit erzeugt Wärme, deswegen beginnt man ja auch zu zittern, wenn der Körper Wärmeverlust befürchtet. Ich beobachte, dass viele Pferde zwar nicht zittern, aber sich stark verpannen, wenn sie "naturnah" einen Nachmittag im Sauwetter verbracht haben. Trotz Unterstand. Und trotz Heufütterung ad libitum. Gerade viele langbeinige Warmblüter, Vollblüter oder iberische Pferde werden bei Kälte "fest". Oft nehmen sie auch ab, obwohl die Fütterung grundsätzlich stimmt. Das kann man tolerieren. Dann ist es meiner Ansicht nach aber unfair, ein durchlässiges, lockeres, leistungsbereites Pferd unterm Sattel zu erwarten. Und jetzt kommen wir zum Punkt: Ich reite. Gern. Sehr gern sogar. Das ist leider von der Natur nicht vorgesehen, aber doch mit gutem Training durchaus pferdegerecht machbar. Und ich habe Lusitanos, die für unsere Witterung offensichtlich nicht gemacht sind (zumindest Hariel nicht). Unsere Reitpferde sind im Gegensatz zu Wildpferden oder robusten Ponyrassen NICHT in erster Linie auf tolle Thermoregulation selektiert, sondern auf Reiteigenschaften. Ohne Decke würde so manches Pferd nicht nur beim Reiten "klemmen", sondern an kalten oder nassen Tagen den Unterstand nicht verlassen, was ja auch nicht Sinn und Zweck der Offenstallhaltung ist... Eindecken - ja oder nein? Die Frage kann man nur individuell beantworten. Mein Shetty stellt sich im größten Regen nach draußen und ist putzmunter. Er hat langes Winterfell und ist einfach "naturisoliert". Ich würde nicht auf die Idee kommen, ihn einzudecken. Die Deckenfrage ist nur undogmatisch zu beantworten. Baut das Pferd ab, verspannt es sich stark oder zittert es gar, ist eindecken sinnvoll. Steht es ohne Decke putzmunter auf dem Auflauf und schwitzt es unter der leichtesten Decke, ist Eindecken sinnlos bis schädlich. So einfach ist das.
12 Kommentare
11/2/2017 06:25:59 am
Sehr guter Artikel!!Spricht mir aus der Seele.Hrnauso begründe ich es auch immer.,wobei ich sogar noch weitergehe: in nahezu jeder Rasse gibt es Individuen,die Nässe und Kälte schlecht vertragen,auch unter Isländern und Shetlandponys!Natürlich überleben auch sie in der Regel das Leben im Offenstall.Aber wenn ich sportliche Leistung von ihnen erwarte oder/ und sie auch Reiten möchte, ist es sinnvoll,wichtig und richtig diese Pferde einzudecken!!!
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Claudia
11/2/2017 08:36:07 am
Danke für dein Feedback! So ist es :-)
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Ulrike
11/2/2017 09:44:02 am
Das mit dem nass und verspannt kann ich nur bestätigen.
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Eva
11/2/2017 04:58:27 pm
da bin ich ganz deiner meinung!
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Melanie
11/2/2017 11:07:17 am
Genau so ist es. Man muss es eben differenziert betrachten. Ich Decke auch ein, weil meiner bibbert, fest wird und ziemlich stärkt abnimmt im Winter, aber eh schon sehr schlank ist. Mit 18 darf man als schlankes, blütiges Pferd ruhig ne Decke haben. Und der dicke Hafi mit rundem Bauch und Winterpelz braucht halt vielleicht keine.
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Sandra
11/3/2017 03:36:32 am
Genau das ist es! Der Thermoregulations-Hype scheint dieses Jahr wieder richtig aufzuleben.
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Maria
11/20/2017 12:26:18 pm
Super Artikel! Gerade heute (Schneeregen, 1 °C) habe ich intensiv über Decken nachgedacht, selbige auch aufgelegt und bin mir mittlerweile sicher, das ich die kuschlige 200g-Decke meiner Trakehner-Hannoveraner Stute vom Typ Giraffe (lang und dünn) diesen Winter defintiv häufiger überziehe. Sie steht auf einer sehr großen Weide mit Waldanteil, heu ad libitum,und das auch oft im Winter 24 h. Leider kein Unterstand! Allerdings braucht man nicht zu denken, dass sich die Pferde in den dichten Fichtenwald stellen, wenn es Bindfäden regnet...(kopfschüttel)
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Ute
1/4/2018 10:48:52 pm
Ich habe eine 18 jährige Traberin und eine 28 jährige Stute. Beide stehen ohne Decke. Sie gehen nur zum fressen in den Offenstall und stehen ansonsten draußen. Sie zittern nicht und stellen auch die Haare nicht auf. Da es meine ersten eigenen Pferde sind dachte ich dann ist alles so in Ordnung. Jetzt bin ich verunsichert.
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Tanja
11/17/2018 02:05:07 pm
Danke für deine Meinung im Artikel. Ich finde es super, dass jemand auch einmal das Thema Leistung vs. Natur anspricht. Man muss sich ja schon fast entschuldigen, wenn man sein Pferd eindeckt.
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Claudia
4/3/2019 02:34:15 am
Hallo miteinander,
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April 2020
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